Die nahezu perfekte Architektur
Shakers:
OOS-Gründer Andreas Derrer (links) und Christoph Kellenberger: «Ein neues Gebäude wirkt sich direkt auf die Kultur aus, also muss man schauen, dass man die Menschen in den laufenden Prozess integriert.» (Bild: Michele Limina)
Dieser Artikel ist im Rahmen der NZZaS-Verlagsbeilage «Zukunft Bauen» erschienen. Inhalt realisiert durch NZZ Content Solutions in Kooperation mit Brand Relations. Hier geht es zu den NZZ-Richtlinien für Branded Content.
Wie viel Zeit verbringen wir Zivilisationsangehörige in geschlossenen Räumen? 50 Prozent, 70 Prozent? «Wohl eher 90 Prozent», meint Christoph Kel-lenberger und schmunzelt. Für ihn, der zusammen mit Andreas Derrer vor gut 20 Jahren in Zürich das Architekturbüro OOS gegründet hat, ist klar: Kernaufgabe der Architektur ist es, den Menschen in einen direkten Kontext zu setzen mit dem Raum, der ihn umgibt. «Natürlich, das mag tatsächlich abgedroschen klingen. Vielen neueren Architekturen man-gelt es jedoch genau daran, ganz bewusst oder auch unbewusst.»
Raum ohne Inhalt ist Leere. Das mag schön sein, im Zusammenhang mit Woh-nungen, Büros, Ortsbildern, Stadtentwicklung und – eben – Lebensräumen stellt sich dergestalt nach einiger Zeit allerdings eine gewisse Langeweile ein. Dementsprechend gilt es, den Freiraum bewusst und mit gestalterischem Fingerspitzengefühl zu füllen. So viel nur, dass eine Atmosphäre entsteht, in der ein positiv gestimmtes, produktives Leben möglich ist.
Corporate Architecture
«Wir bewegen uns mit unserer Arbeit in einem Spannungsfeld», sagt Andreas Derrer. «Zum einen gilt es, die soziale, ökologische und ökonomische Dimension der Aufgabe in Balance zu halten. Zum anderen orientiert sich die Architektur an den Werten und Bedürfnissen von Kunden und Nutzern.» OOS hat sich der Schaffung von individuellen und massgeschneiderten Lebens- und Arbeitswelten verschrieben, kurz: der Corporate Architecture. Im Zuge dessen kommt der Beratung eine zentrale Rolle zu. «Architektur löst immer auch einen krassen Change-Management-Prozess aus, darauf müssen wir unsere Kunden häufig mit Nachdruck hinweisen», erklärt Christoph Kellenberger. «Ein neues Gebäude, ein neuer Raum – das wirkt sich direkt auf die Kultur aus, also muss man schauen, dass man die Menschen in den laufenden Prozess integriert und sie nicht einfach vor vollendete Tatsachen stellt.»
Der digitale Wandel, die Entwicklung neuer Technologien und Methoden wie Building Information Modelling (BIM), der Einsatz von 3D-Druckern oder Virtual Reality, sie ermöglichen es nach Ansicht von Kellenberger und Derrer, Auftraggeber, Partner und Bauherrschaften mit auf die Reise zu nehmen und sie frühzeitig ins Projekt miteinzubeziehen. «Die meisten unserer Auftraggeber haben anfangs ein Bild von dem, was sie realisiert haben möchten. Über eine intensive Auseinandersetzung mit der Vision, den Werten und Bedürfnissen unserer Auftraggeber und den zukünftigen Nutzern stossen wir letztlich zum Kern vor, zur Frage, was das Resultat leisten muss», sagt Andreas Derrer, «die neuen Technologien und Methoden unterstützen uns dabei, die verschiedenen Beteiligten von Beginn weg optimal einzubinden.»
Open Operating System
Sich selber bezeichnen die beiden OOS-Gründer als «Early Adopter», als frühe Anwender in Sachen Digitalisierung. Die Initialzündung, sich intensiv mit den neuen Technologien zu befassen, hat vor gut zwölf Jahren ein Projekt im Regenwald von Brasilien geliefert. «Der Bauherr hatte keinen Drucker und wir konnten ja nicht jede Woche mit unseren Plänen nach Brasilien fliegen», führt Christoph Kellenberger aus. Per Zufall sei man darauf gekommen, dass der Sohn des Baumeisters eine hohe Affinität für Design und Technologie besitzt und über in der Architektur verbreitete Gestaltungsprogramme verfügt. «Also übermittelten wir dem Filius drei-dimensionale Modelle in den Dschungel, von denen er dann die Masse ablesen und an den Vater weitergeben konnte, damit der wiederum wusste, wie viele Zentimeter des Baugestänges er hier und dort kappen musste. Das war eigentlich unser Einstieg ins BIM-Zeitalter.»
«Architektur löst immer auch einen krassen Change-Management-Prozess aus.»
Inzwischen sind 3D-Modelle und Bauwerksdatenmodellierung Alltag im OOS-Büro im Zürcher Kreis 5. Mit Anna Pàl hat das Team eine ausgewiesene Fachfrau in Sachen BIM im Team (siehe Nachgefragt unten). «Wir wollen offen sein gegenüber neuen Ideen, wollen uns weiterentwickeln, deshalb von Anbeginn her der Name OOS», sagt Andreas Derrer. «OOS bedeutet Open Operating System und impliziert nicht allein unser Verständnis einer offenen und unvoreingenommenen Zusammenarbeit, sondern auch eine methoden- und prozessorientierte Arbeitsweise sowie die konstante Weiterentwicklung und Veränderung innerhalb der eigenen Firmenstruktur.» Selbst-redend sei denn klar, dass die digitale Transformation in einem Unternehmen Chefsache sein muss.
«First low tech, then smart tech»
OOS ist auf sämtlichen Gebieten der Baukunst tätig – von der Innen- über die Gebäude- und Landschaftsarchitektur bis hin zu städtebaulichen Eingriffen. Ganz besonders wichtig sind dem Büro mit seinen rund 20 Mitarbeitenden die Aspekte «first low tech, then smart tech», also ein möglichst ausgeklügelter oder dann eben geringer Grad an Technik in Gebäuden. Für die auf Hörsysteme spezialisierte Phonak realisiert OOS in Murten einen neuen Gebäudekomplex, der nahezu gänzlich ohne Heizung, Kühlung oder Lüftungsanlage auskommt. «Anfänglich haben wir uns fast nicht getraut, diesem Hightech-Unternehmen unsere Idee zu präsentieren», verrät Christoph Kellenberger, «doch wider Erwarten waren die Auftraggeber rasch Feuer und Flamme fürs Projekt, das nicht nur in der Erstellung weniger teuer zu stehen kommt als vergleichbar dimensionierte Gebäude, sondern sich danach auch weitaus günstiger betreiben und unterhalten lässt.»
Die Möglichkeit, seine Arbeit der ganzen Welt zu präsentieren, erhält das Team von OOS im nächsten Jahr anlässlich der Weltausstellung Expo 2020 in Dubai (VAE). Unter Einbezug modernster digitaler Tools und Methoden wie eben BIM realisiert OOS den Schweizer Pavillon. Eine planerische, koordinative und nicht zuletzt eine kreative Herausforderung. Motto und Sujet des Pavillons? «Da möchten wir natürlich noch nicht allzu viel verraten», sagt Andreas Derrer. «Nur so viel: Wir vermitteln die Werte der Schweiz, bauen Berge, setzen echten Nebel ein. Und möchten, dass die Besucherinnen und Besucher einen nachhaltig wirkenden Aha-Effekt erleben.» Vergleichbar, wie sie es eben auch mit ihrer alltäglichen Arbeit halten würden, ergänzt Christoph Kellenberger. «Wie eingangs erwähnt: Architektur muss Nutzen stiften. Erfüllt sie darüber hinaus den Anspruch, dass sie die Leute erfreut und begeistert, die sie effektiv nutzen, so ist sie wohl nahezu perfekt.»
Nachgefragt
Wie schwierig ist die Transformation von der klassischen Architektur zur Bauwerksdatenmodellierung, kurz BIM?
Anna Pàl: Im Endeffekt ist es wohl wie bei so vielen methodischen Belangen eine Frage der Persönlichkeit, ob man sich der Herausforderung stellen will oder nicht. Für Leute wie mich, die gerne strukturiert denken und eine transparente wie transdisziplinäre Zusammenarbeit schätzen, ist die Annäherung sicherlich einfacher als für Individualisten, die felsenfest davon überzeugt sind, ganz genau zu wissen, wie es am besten geht. Mit BIM geht immer ein Kulturwandel einher – im Architekturbüro, aber auch bezüglich des Umgangs mit Partnern und Bauherrschaften.
Wie reagieren Kunden, wenn sie erstmals mit BIM in Kontakt kommen?
Durchwegs interessiert, weil sie sehen, dass die BIM-Methode Transparenz und Struktur schafft. Die Methodik bietet zuverlässige Entscheidungsgrundlagen und ermöglicht es, eine Sprache zu ent-wickeln, die alle Beteiligten verstehen.
Wird Bauen dank BIM besser, vielleicht günstiger auch?
BIM hilft in erster Linie, effektiver und effizienter zu werden. Zudem werden die Fehlerquellen schon in einer frühen Phase minimiert oder im besten Falle eliminiert. Aber ein Projekt ist letztendlich nicht alleine deshalb günstiger oder besser, weil BIM zum Einsatz gelangt. Genauso wichtig ist es, mit der Bauherrschaft und dem ganzen Planungsteam eine auf Vertrauen basierende Zusammenarbeit aufzubauen. Die Technologie und die Kultur der Zusammenarbeit müssen immer im Kontext stehen.
Weshalb verschliessen sich viele Architekturbüros den Möglichkeiten, die BIM bietet?
Veränderungen machen in erster Linie einmal Angst. Und wenn jemand kreativ tätig ist, dann wirken methodische und technologische Neuerungen vielleicht in zusätzlichem Masse bedrohlicher, als sie es in Wirklichkeit sind. Meine Erfahrung ist, dass die Anwendung der BIM-Methode nach einer Phase der Implementierung und Schulung selbstverständlich wird. Der Nutzen für den Kunden ist gross, für uns als Architekturbüro ebenfalls – und nicht zuletzt gewinnen wir als Arbeitgeber zusätzlich an Attraktivität.